Chris Jarrett
pianist and composer
Photo: Gerhard Alt, Saarwellingen
Orgel-Improvisationen
Vor 2014 hatte ich nur selten die Gelegenheit, Orgel zu spielen. Abgesehen von zwei einmalig aufgeführten Solo-Orgelwerken und Teilen meines Oratoriums "Erlösungen 3?" saß ich fast nie vor einer Kirchenorgel. Am 11. Juli 2014 habe ich dann aber eine neue Reise begonnen, als ich mit den improvisatorischen Möglichkeiten der Beckerath-Orgel in Herxheim experimentierte. Dieses höchstspontane Erlebnis ist auf einer DVD und einer CD dokumentiert.
Seitdem habe ich die abenteuerliche Reise weitergeführt und entdeckt, dass jedes neue Instrument zu einer neuen Verschmelzung von Klang und Ausdruck führt. Keine zwei Konzerte gleichen sich. Nur der Titel bleibt: "New Journeys" - Neue Reisen.
Chris Jarrett
Chris Jarrett ließ die Orgel zum Herz der Kirche werden - Virtuoses Klangerlebnis was bislang „unerhört“
Dausenau - "„Wenn die Orgel brennt, hoffe ich doch sehr auf die Freiwillige Feuerwehr!“, das äußerte Diethelm Grensch am Ende seines Wortes zur zweiten diesjährigen Veranstaltung des hochkarätigen Festivals „Gegen den Strom“ in der evangelischen Kastorkirche zu Dausenau, einem wunderschönen sakralen Kleinod an der Lahn. Dort zog Chris Jarrett in der Abendstunde seines größtenteils improvisierten Konzerts alle Register der 2005 neu gebauten Orgel der Firma Förster und Nicolaus aus Lich. Das besondere daran: es war eine Uraufführung!
Komponist und Improvisator Jarrett (jüngster Bruder von Keith Jarrett) verbrachte zuvor drei volle Tage in der Kirche an der Orgel, ließ sich vom intimen Gemäuer, den Gemälden, dem Licht, den Fenstern, der Geschichte und der Erhabenheit der Landschaft um Dausenau inspirieren. Aus den aufgenommenen Impulsen entstand ein wagemutiger Klangrausch, eine fulminante konzertante Reise nach Neuland, denn „Musikarchitekt“ Chris Jarrett nennt sein Programm „New Journeys“ - Teil I vor der Pause, Teil II danach. Was das Publikum zum hören bekam, wurde so noch nie gespielt. Das Publikum erlebte etwas Einzigartiges, bisher Unerhörtes. Ähnlich wie im Film „Schlafes Bruder“.
Stephanskirche Simmern
Wobei Hören in diesem Fall kein ausschließlich auditives Erleben war. Vielmehr drang das Ausmaß an Tönen und sonderbaren Neugeräuschen so tief ins körperliche Zellgewebe ein, dass man mitunter nicht mehr zu unterscheiden wusste, ob man nun Resonanzkörper, Klang oder gar selbst Instrument war. Ein raffiniertes musikalisches Setting.
Einem Donnerwetter gleich rauschte ein virtuoser Orkan durch die Orgelpfeifenquadratur des Kreises, fegte fanfarengleich durchs Kirchenschiff, als würde der heilige Raum selbst in Flammen stehen. Zwei Stunden lang war die Orgel das Herz der Kirche. Und dabei schlug es wilde Kapriolen, voller Dissonanzen, fern konventioneller Kirchenklänge, um sich immer wieder über dem Ostinato von zwei Wechseltönen zu wiegen. Die wenigen harmonischen Passagen wirkten plötzlich wie Neuland und ließen gleichzeitig ein Gefühl von Heimat zu.
Gottfried-Silbermann-Orgel in der Petrikirche Freiberg
Vorhandene Strukturen feierten stets neue Rhythmen, sich an ihrer Ausdrucksvielfalt ereifernd, die eine Energie des Unverhofften gebar – ein Appell, der Sicherheit an Möglichkeiten zu vertrauen. Chris Jarrett steuerte die Orgel wie ein Boot auf dem Meer bei schwerem Seegang und Winden ohne Horizont. Die linke Hand pumpte Luft, die rechte flog leicht wie ein Kolibri über die Tastatur, die Füße tanzten bewußt konzertiert über die Pedale. Die Register wurden oft blitzschnell aus dem Moment heraus gezogen – wie laut, wie intensiv, wie versteckt, wie verstohlen, wie zaghaft, wie wuchtig sich die Klänge ausbreiten sollten: betörende (und zuweilen verstörende) Collagen vom Feinsten, die Kirchenorgel wie im Rausch – das Publikum im Minikirchenschiff entfesselt-gefesselt. Vorm inneren Auge der Zuhörer entstanden laufend neue Bilder, die Organe bebten.
Chris Jarrett war als organischer Großmeister-Klaviator mit Tasten, Registern und Pedalen im musikalischen Dialog unterwegs: Eine Reise in zwei Abschnitten mit zarter Perkussion beginnend und mündend in einen C-Dur Akkord, der den Raum flutete, wie reines Wasser. Wer sich auf dieses Wagnis einlassen und mitreisen konnte, trat gewiss bereichert den Heimweg an."
Rhein-Zeitung, Mai 2019
"Jarrett macht mit seiner Kunst erfahrbar, dass das Rätselhafte und Gehimnisvolle des Lebens nicht nur Ungewissheit und Furcht bedeuten, sondern auch Bereicherung und Schönheit für den, der es wagt, sich darauf einzulassen.
"Saarbrücker Zeitung 10.20.2020